Bürgerbegehrensbericht 2015

Eine Bilanz der Jahre 1994-2014 in Mecklenburg-Vorpommern.

Im Juli 2015 erschien der Bürgerbegehrensbericht Mecklenburg-Vorpommern 2015 (<link file:12107>Download), in dem eine Bilanz der direktdemokratischen Verfahren auf kommunaler Ebene in den Jahren 1994 bis 2014 gezogen wird. Bislang gab es keinerlei Auswertungen der Praxis und keinen systematischen Überblick über die bisherigen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Mecklenburg-Vorpommern. Diese gravierende Lücke schließt der Bürgerbegehrensbericht.

In Mecklenburg-Vorpommern kommt es nur selten zu direktdemokratischen Verfahren auf kommunaler Ebene. Mit sechs Bürgerbegehren oder Ratsreferenden pro Jahr liegt Mecklenburg-Vorpommern an vorletzter Position in Deutschland. Statistisch gesehen wird nur alle 132 Jahre ein Begehren in einer Gemeinde eingeleitet. Noch seltener kommt es tatsächlich zum Bürgerentscheid: Von 86 Bürgerbegehren gelangten nur 19 zur Abstimmung. Etwas positiver fällt die Bilanz aus, wenn man die 36 Ratsreferenden in die Bilanz mit einbezieht.

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Die geringe Zahl der Bürgerentscheide ist vor allem auf die restriktiven Verfahrensregeln zurückzuführen. 55 Prozent der Bürgerbegehren werden als unzulässig zu­rückgewiesen, dies ist der zweithöchste Wert in Deutschland. Die meisten Verfahren scheitern dabei an den Themenausschlüssen, die in Mecklenburg-Vorpommern beson­ders weitreichend sind. Hier wirken sich der Ausschluss der Bauleitplanung und das Finanztabu besonders negativ aus. 

Unnötig hoch ist auch die Zahl der „unecht gescheiterten“ Bürgerentscheide, also derjenigen Abstimmungen, die zwar eine klare Mehrheit erreichen, aber nicht das 25-Prozent-Zustimmungsquorum. Immerhin liegt die Zahl der unecht gescheiterten Bürgerentscheide etwas unter dem Bundesdurchschnitt. 

Wichtige Zahlen und Fakten in Kürze: 

  • Von 1994 bis 2014 wurden 122 Verfahren in Mecklenburg-Vorpommern eingeleitet. Diese unterteilen sich in 86 „von unten“ initiierte Bürgerbegehren und 36 Ratsreferenden.

  • Die gesamte Anzahl an Bürgerentscheiden betrug 55, davon 36 vom Gemeinderat initiiert und 19 von den Bürger/innen selbst.

  • Mit durchschnittlich sechs Verfahren pro Jahr in allen Gemeinden und Städten liegt Mecklenburg-Vorpommern im bundesweiten Vergleich an vorletzter Stelle. Die spär­liche Praxis liegt maßgeblich an den restriktiven Verfahrensregelungen und hohen Hürden. Die erfassten 122 Verfahren der ersten 20 Jahre werden in Bayern in einem einzigen Jahr übertroffen.
  • In größeren Städten des Landes sowie in den Landkreisen fanden überdurchschnittlich häufiger Bürgerbegehren statt als in kleineren Gemeinden.
  • 47 von 86 Bürgerbegehren wurden für unzulässig erklärt: Mit 55 Prozent ist dieser Wert alarmierend hoch – der zweithöchste in Deutschland – und ist ein deutliches Indiz für restriktive Verfahrensanforderungen (etwa weit gefasster Themenausschluss).

  • Die durchschnittliche Erfolgsquote aller Verfahren betrug 36 Prozent. Ohne die Ratsreferenden waren sogar nur 21,5 Prozent der Bürgerbegehren erfolgreich.

  • Bürgerbegehren hatten mit 21,5 Prozent eine drei Mal niedrigere Erfolgschance als die „von oben“ initiierten Ratsreferenden (69,4 Prozent).
  • Am 25-Prozent-Zustimmungsquorum scheiterten sechs Bürgerentscheide, obwohl sie deutliche Abstimmungsmehrheiten erzielten.

  • Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung aller 55 Bürgerentscheide betrug 58,6 Prozent. Die Beteiligung bei Ratsreferenden lag mit 61,8 Prozent etwas höher als bei von Bürger/innen ausgelösten Bürgerentscheiden (52,4 Prozent). 

Reformvorschläge

Wenn Bürgerbegehren und -entscheiden größere Praxisrelevanz zukommen soll, so müssen vor allem die restriktiven Themenausschlüsse gelockert werden. Insbesonde­re die Bauleitplanung ist ein klassisches Feld der Kommunalpolitik und sollte einer Abstimmung durch die Bürger/innen nicht entzogen sein. Nur Pflichtaufgaben nach Weisung und Auftragsangelegenheiten, die Haushaltssatzung, Personalangelegenhei­ten sowie Anträge mit gesetzwidrigem Ziel sind keine geeigneten Gegenstände für Bürgerbegehren. 

Der zweite Hebel für anwenderfreundlich und fair gestaltete Verfahrensregeln ist, die Quoren für Bürgerbegehren und -entscheide herabzusetzen. Das Unterschriftenquorum bei Bürgerbegehren sollte unserer Meinung nach höchstens sieben statt zehn Prozent betragen. Das Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid sollte ganz fallen. Lediglich ein niedriges Beteiligungsquorum erscheint uns begründbar. In einer Demokratie entschei­det die Mehrheit der Bürger/innen, die ihre Rechte wahrnehmen und sich äußern. Ein Zustimmungsquorum führt dagegen dazu, dass Stimmenthaltungen als Nein-Stimmen gewertet werden. Somit entscheiden nicht diejenigen, die zur Urne gehen, sondern diejenigen, die zuhause bleiben. Das stellt die Demokratie auf den Kopf. 

Es sollte eine verbindliche Zulässigkeitsprüfung vor dem Start der Unterschriftensammlung erfolgen, nicht erst nach der Einreichung der Listen. Zu oft werden erst mit viel Energie Unterschriften gesammelt, die im Nachhinein für unzulässig erklärt werden. Das frustriert die Bürger/innen unnötig.

Eine ausführliche und ausgewogene Diskussion ist Voraussetzung für eine sachgerechte Meinungsbildung und Entscheidung. Deshalb soll mit der Abstimmungs­benachrichtigung an alle Haushalte ein Informationsheft verteilt werden, das eine zusammenfassende, allgemein verständliche Beschreibung des wesentlichen Inhalts für jede Abstimmungsvorlage mit den Auffassungen der Vertrauenspersonen und der Gemeindevertretung sowie die Abstimmungsvorlagen im Wortlaut enthält.

Zusammengefasst sind unsere Kernanliegen: 

  • Abschaffung oder zumindest deutliche Reduzierung der Themenausschlüsse

  • Abschaffung des Zustimmungsquorums beim Bürgerentscheid, allenfalls ein niedriges Beteiligungsquorum ist begründbar

  • das Unterschriftenquorum beim Bürgerbegehren sollte sieben statt zehn Prozent betragen

  • ob ein Bürgerbegehren unzulässig ist, sollte bereits vor dem Start der Unterschriftensammlung verbindlich entschieden werden, nicht erst nach Einreichung der Unterschriftenlisten

  • die Frist bei Korrektur-Bürgerbegehren sollte wenigstens sechs Monate betragen, bes­ser jedoch ganz fallen.

  • Recht auf gleichberechtigte Information der Bürger/innen vor dem Bürgerentscheid durch ein Informationsheft des Abstimmungsleiters

  • früh einsetzende, aufschiebende Wirkung des Bürgerbegehrens

  • nach Möglichkeit Zusammenlegung von Abstimmungen und Wahlen.